Die Welt ist eine Welt des Lärms. Menschen, Tiere und Maschinen verursachen rund um die Uhr Geräusche, die nicht nur empfindsame Gemüter stören können. Doch viele Geräuschentwicklungen sind unvermeidbar oder sozialverträglich. Gegen Vogelgezwitscher, das den Ausschlafwünschen am Wochenende ein Ende setzt, lässt sich nicht viel machen. Wer in eine an einer viel befahrenen Hauptstraße gelegene Wohnung zieht, muss mit dem Straßenverkehrslärm leben. Und im nachbarschaftlichen Zusammenleben lässt sich auch nicht jede Lebensäußerung des Nachbarn verbieten. Wo verläuft also die rechtliche Grenze zwischen hinzunehmendem Lärm und Lärmbelästigung im Sinne einer verbotenen Ruhestörung?.
Ruhestörung als Ordnungswidrigkeit
Gemäß § 117 Absatz 1 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz) handelt ordnungswidrig, „wer ohne berechtigten Anlass oder in einem unzulässigen oder nach den Umständen vermeidbaren Ausmaß Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines anderen zu schädigen“.
Das Ordnungswidrigkeitenrecht zieht die Grenze demnach danach, ob es einen berechtigten Grund für den Lärm gibt (berechtigter Anlass) oder ob das Geräusch über ein vermeidbares Ausmaß hinaus erzeugt wird. Um als Ordnungswidrigkeit zu gelten, muss der Lärm ferner zu einer erheblichen Belästigung oder Gesundheitsschädigung führen können.
Der Anzeigenerstatter als Zeuge
Wer Zeuge einer Ordnungswidrigkeit wird kann – unabhängig davon, ob er selbst davon gestört wird oder nicht – diese bei der zuständigen Behörde anzeigen.
Bei Anzeige einer Ordnungswidrigkeit ist nimmt der Anzeigenerstatter, auch wenn er Geschädigter der angezeigten Ruhestörung ist, lediglich die Rolle des Zeugen ein, der gegenüber dem Staat seine Wahrnehmung vom der Ordnungswidrigkeit zugrunde liegenden Sachverhalt mitteilt. Eigene subjektive Rechte werden hingegen mit der Anzeige nicht ausgeübt. Der Anzeigenerstatter kann aber mittelbar von seiner Anzeige profitieren, wenn nämlich die Ordnungsbehörde neben der Einleitung eines Bußgeldverfahrens zunächst die Beendigung des ordnungswidrigen Verhaltens durchsetzt.
Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche
Wer unter einer Ruhestörung leidet, kann zudem Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche gegen den Ruhestörer geltend machen. Ansprüche auf Unterlassung können sich aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz und den Immissionsschutzgesetzen der Bundesländer oder aus dem Nachbar- oder Mietrecht ergeben.
Zivilrechtliche Unterlassungsklagen wegen Ruhestörung betreffen in den meisten Fällen Lärmbelästigungen unter Nachbarn. Wenn ein Nachbar unverhältnismäßigen Lärm verursacht, so kann er mittels Unterlassungsklage dazu gezwungen werden, das lärmverursachende Verhalten abzustellen.
Ruhestörung muss nachgewiesen werden
Wer eine Unterlassungsklage erhebt, muss zunächst den Lärm, dessen Erzeugung untersagt werden soll, darlegen und bei Bestreiten beweisen. Dazu muss konkret nachgewiesen werden, wann genau welche Geräusche und in welcher Lautstärke in der eigenen Wohnung gehört wurden. Dazu können ein Lärmprotokoll angefertigt, Zeugen für den Lärm benannt und die Erstellung eines Lärmgutachtens beauftragt werden.
Zulässiger und unzulässiger Lärm
Dabei ist zu bedenken, dass niemand seine Wohnung vollkommen geräuschlos nutzen kann. Ob Nachbarn ein Geräusch hinnehmen müssen, oder es sich um eine unzumutbare Ruhestörung handelt, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern hängt unter anderem von Zeit, Ort und Art der Geräuschquelle ab. Tagsüber muss ein höheres Geräuschmaß hingenommen werden als in der Nacht.
Unvermeidliche Wohngeräusche
Geräusche, die sich aus Verhalten ergeben, das zum notwendigen Gebrauch der Wohnung dazugehört, wie etwa die Nutzung der Toilette oder der Dusche, müssen Nachbarn bei allem Ruhebedürfnis auch in der Nacht dulden. Auch wenn es sich um ein hellhöriges Mehrfamilienwohnhaus handelt und die Toilettenspülung deutlich im Schlafzimmer der Nachbarwohnung gehört werden kann: Die Mieter bzw. Hausbewohner dürfen zu jeder Tages- und Nachtzeit ihre Toilette nutzen. Gleiches gilt für die Dusche, deren Nutzung trotz der damit einhergehenden Duschgeräusche, die durch das herunterprasselnde und abfließende Wasser verursacht werden, in der Regel jederzeit gestattet ist.
Nachtruhe und Ruhezeiten an Sonn- und Feiertagen
Andere Alltagsverrichtungen hingegen, die nicht zu den absoluten Grundbedürfnissen bei der Wohnnutzung gehören und die eine erhebliche Geräuschquelle darstellen, können während der Ruhezeiten verboten sein. Zwischen 22 Uhr abends und 7 Uhr morgens gilt in der Regel Nachtruhe. An Sonn- und Feiertagen ist ganztägig Ruhe einzuhalten Dies wird durch die Lärmschutzverordnungen der Länder geregelt (etwa die Berliner Lärmschutzverordnung) und kann zusätzlich durch die Hausordnungen von Mehrparteienwohnhäusern geregelt und ausgeweitet werden. Viele Hausordnungen sehen ferner zwischen 13 Uhr und 15 Uhr eine Mittagsruhe vor.
Während der Ruhezeiten müssen Geräusche auf Zimmerlautstärke reduziert werden. Es darf keine laute, nach außen und in die Nachbarwohnungen dringende Musik mehr gespielt werden, und laute Lärmquellen wie Bauarbeiten, Bohrarbeiten, Spielen von Musikinstrumenten oder die geräuschreiche Nutzung der Waschmaschine mit Schleuderprogramm sind untersagt bzw. dürfen nur bei Einverständnis der beeinträchtigten Nachbarn ausgeführt werden. Zu besonderen Anlässen wie Sylvester, wenn Silvesterpartys und das Abfeuern von Feuerwerkskörpern um Mitternacht sozial allgemein anerkannt sind, kann von diesen grundsätzlichen Nachtruheregelungen abgewichen werden.
Sollte man die Ruhestörung dem Vermieter melden?
Wer als Mieter durch eine Ruhestörung beeinträchtigt wird, kann zum einen im Wege der Unterlassungsklage gegen den Verursacher der Ruhestörung vorgehen. Zugleich kann er sich an seinen Vermieter wenden. Denn dieser ist gemäß § 535 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dazu verpflichtet, „die Mietsache […] in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand […] zu erhalten“.
Ruhestörung als Mietmangel
Die Ruhestörung kann deshalb einen Mietmangel darstellen, den der Vermieter zu beheben hat. Dazu muss der Mieter seinen Vermieter zunächst von dem Mangel (dem Lärm bzw. der Ruhestörung) in Kenntnis setzen und zur Behebung des Mangels aufzufordern. Wird die Ruhestörung also beispielsweise von einem anderem Mieter im gleichen Haus verursache, so kann der Vermieter diesen aufgrund der sich aus dem Mietvertrag ergebenden Mieterpflichten zur Unterlassung des Lärms auffordern und die Unterlassung mit einer Abmahnung und als ultima ratio mit der Kündigung des Mietverhältnisses durchsetzen. Liegt die Lärmquelle außerhalb des Hauses, so hat der Vermieter die notwendigen rechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Lärm zu unterbinden.
Mietminderung bei Ruhestörung
Wird der Vermieter trotz Kenntnis von der Ruhestörung und der Aufforderung zur Behebung nicht tätig, so ist der Mieter zur Minderung wegen eines Mietmangels berechtigt. Die Höhe des Mietmangels lässt sich nicht pauschal beurteilen, sondern muss im Einzelfall anhand des Ausmaßes der Störung bestimmt werden. Ein Blick auf die Vergleichswerte in der Mietminderungstabelle kann eine erste Einschätzung ermöglichen, zeigt aber auch die Bandbreite der Minderungsbeträge bei Mietminderung wegen Ruhestörung auf, die von wenigen Prozent bis zu Hundert Prozent – also dem Einbehalt der vollen Miete – reichen.
Mietminderungstabelle: Minderungsbeträge wegen Ruhestörung und Lärmbeeinträchtigung
So konnte ein Mieter aufgrund einer von einer Skaterbahn in der Nachbarschaft ausgehenden nicht ortsüblichen Lärmbeeinträchtigung seine Miete um 5 % mindern (Amtsgericht Emmerich am Rhein, Urteil vom 05.05.2000, Az. 9 C 72/00). Für den nächtlichen Lärm aufgrund Flascheneinwurfs in einen Altglascontainer konnte ein Mieter die Miete um 10 % mindern (Amtsgericht Rudolstadt, Urteil vom 20.05.1999, Az. 1 C 914/98). Für ständige Lärmstörungen durch Streitereien, Schreie, Trampeln und Türknallen bei den Nachbarn setzte ein Mieter ebenfalls eine Mietminderung von 10 % durch (Landgericht Berlin, Urteil vom 06.02.2015, Az. 63 S 236/14). Für erhebliche Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten bei einem Dachgeschossausbau, bei dem es nebst Schmutz und Gestank zu Einbrüchen von Regenwasser kam, erwirkte ein Mieter eine Mietminderung von 80 % (Landgericht Hamburg, Urteil vom 11.01.1996, Az. 307 S135/95). Und aufgrund des Lärms, der durch in der Wohnung aufgestellte Trocknungsgeräte verursacht wurde und der einen Lärmpegel von 50 Dezibel erreichte, wodurch der Verbleib in der Wohnung für den Mieter unzumutbar war, konnte dieser die Miete um 100 % mindern (Amtsgericht Schöneberg, Urteil vom 10.04.2008, Az. 109 C 256/07).
Sozial erlaubter Lärm
Die in der Mietminderungstabelle aufgeführten Gerichtsentscheidungen zeigen aber auch die Grenzen auf, die dem Wunsch nach Ruhe gesetzt sind. So gilt mancher Lärm als sozial adäquat und damit für jedermann zumutbar, so dass er hingenommen werden muss und keine Beseitigung im Wege der zivilrechtlichen Unterlassungsklage oder der öffentlich-rechtlichen Möglichkeiten wie dem Ordnungswidrigkeitenverfahren durchgesetzt werden kann.
Bundes-Immissionsschutzgesetz: Kinderlärm muss toleriert werden
So ist der von Kindern ausgehende Lärm bis zu einem Grad, der bei anderen Lärmquellen nicht hinzunehmen wäre, zu tolerieren. So hat der Bundesgerichtshof in einem Fall entschieden, dass die von einem Bolzplatz ausgehende Lärmbelästigung nicht zur Mietminderung berechtigt, sofern das bei Kinderlärm bestehende Toleranzgebot des § 22 Absatz 1a BImSchG (Bundes-Immissionsschutzgesetz) gebietet, den Lärm hinzunehmen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.04.2015, Az. VIII ZR 197/14).
So hat der Gesetzgeber zum Schutz der Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern im BImSchG geregelt, dass die sonst geltenden Grenzwerte des BImSchG nicht gelten, sofern es um „Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden“, geht. Diese sollen im Regelfall nicht als schädliche Umwelteinwirkung, gegen die betroffene Personen subjektive rechtliche Unterlassungsansprüche geltend machen können, eingeordnet werden.
Wohngeräusche aus der Nachbarwohnung: Grenzwert 30 Dezibel und vereinzelt auftretende Geräuschbelästigungen
Aus der Nachbarwohnung wahrnehmbare Urinstrahlgeräusche hat das Landgericht Berlin ebenfalls nicht als Mietmangel eingeordnet (Landgericht Berlin, Urteil vom 12.04.2013, Az. 65 S 159/12). Ein Mietmangel wurde zum einen deshalb verneint, weil es sich um einen Altbau handelte und alle Schallschutznormen zum Zeitpunkt der Erbauung eingehalten worden waren, wogegen kein Anspruch auf Anpassung an die aktuellen Bauvorschriften bestehe. Zum anderen erreichten die Urinstrahlgeräusche in der Regel nur den Wert von 27 Dezibel. Der zulässige Grenzwert liegt jedoch bei 30 Dezibel. Nur wenn der Urinstrahl direkt auf das Wasser in der Toilettenschüssel treffe, werde dieser Grenzwert erreicht. Auch dies führe jedoch nicht zu einem Mietmangel, da vereinzelt auftretende Geräuschbelästigungen hingenommen werden müssen.
Die Einschaltung des Vermieters bei wiederkehrenden Ruhestörungen
Den Vermieter einzuschalten und zur Beseitigung von störenden Lärmquellen aufzufordern sowie eventuell die Miete zu mindern, ist in der Regel nur dann sinnvoll, wenn es sich um wiederkehrende Ruhestörungen handelt, wie etwa bei der Ruhestörung durch Bauarbeiten, bei einem Nachbarn, der regelmäßig mitten in der Nacht Klavier spielt oder ständig laute Partys veranstaltet.
Gegen das akute Problem einer momentanen Ruhestörung wird der Vermieter aber nicht viel ausrichten können. Zum einen wird er möglicherweise gar nicht sofort erreichbar sein (etwa bei nächtlichen Ruhestörungen), und zum anderen wird er gar keine Handhabe haben, sofort zu reagieren und für die Beendigung des Lärms sorgen zu können.
Direkte Abhilfe der Ruhestörung: Polizei oder Ordnungsamt anrufen
Um aber die Ruhestörung für den Moment zu beheben, empfiehlt es sich für die gestörten Hausbewohner (Mieter genauso wie Wohnungseigentümer), die Polizei oder das städtische Ordnungsamt zu verständigen und eine Anzeige wegen Ruhestörung zu erstatten sowie einen Einsatz vor Ort zu erbitten, um der Ruhestörung ein Ende zu setzen. Ordnungsamt und Polizei sind allerdings nicht dafür da, um Zivilrechtliche Streitigkeiten durchzusetzen. Sie können lediglich eingreifen, wenn ein öffentlich-rechtliches Eingriffsrecht besteht. Dies ist etwa bei der Ruhestörung der Fall, die als unzulässiger Lärm im Sinne des § 117 OWiG zu qualifizieren ist und damit eine Ordnungswidrigkeit darstellt. In diesem Fall ist das zuständige Ordnungsamt bzw. die Polizei verpflichtet, einzuschreiten. Handelt es sich bei der Lärmquelle beispielsweise um eine private Party in der Nachbarwohnung, bei der Musik und Partygeräusche der Gäste so laut sind, dass es sich um unzulässigen Lärm handelt, so können die Ordnungskräfte tätig werden und zur Unterlassung des Lärms auffordern. Dies geschieht in der Regel zunächst durch die Aufforderung zur Reduzierung der Musiklautstärke. Gehen weitere unzulässige Ruhestörungen von der Party aus, kann die Behörde weitere Maßnahmen wie etwa die vorübergehende Wegnahme der Musikanlage durchsetzen.
§ 117 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) Unzulässiger Lärm
(1) Ordnungswidrig handelt, wer ohne berechtigten Anlaß oder in einem unzulässigen oder nach den Umständen vermeidbaren Ausmaß Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines anderen zu schädigen.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden, wenn die Handlung nicht nach anderen Vorschriften geahndet werden kann.
§ 22 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) Pflichten der Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen
(1a) Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.